Die jüngste Kehrtwende in der US-Handelspolitik hat den globalen Finanzmärkten am Mittwoch eine überraschende Erholung beschert. Präsident Donald Trump verkündete eine 90-tägige Aussetzung seiner zuvor angekündigten Zölle für mehr als 75 Länder und reduzierte den allgemeinen Zollsatz auf 10 Prozent – allerdings mit einer bedeutsamen Ausnahme: Für China wurden die Strafzölle von 104 auf 125 Prozent erhöht.
Märkte atmen auf, Experten bleiben skeptisch
Die Reaktion an den Börsen war unmittelbar und kraftvoll. Die US-Leitindizes verzeichneten erhebliche Gewinne: Der Dow Jones Industrial Average stieg um 6,75 Prozent, der S&P 500 legte 8 Prozent zu, während der technologielastige NASDAQ Composite sogar um 10,4 Prozent nach oben schnellte. Diese beeindruckende Rallye fügte den Märkten innerhalb eines Tages einen Wertzuwachs von etwa 4,8 Billionen Dollar hinzu.
Trotz der positiven Marktreaktion warnen Experten vor übertriebener Euphorie. Der legendäre Anleiheinvestor Bill Gross kommentierte die Situation mit deutlicher Skepsis: "Ich frage euch, möchtet ihr wirklich hochvolatile US-Aktien besitzen, deren Kurs davon abhängt, ob der Präsident gut geschlafen hat und am nächsten Morgen aufwacht, um die Politik des Vortages umzukehren?"
Analysten der Citigroup unter Leitung von Andrew Hollenhorst betonen, dass die Zollpause nur begrenzten wirtschaftlichen Spielraum biete. Der durchschnittliche effektive US-Zollsatz werde immer noch um etwa 21 Prozentpunkte gegenüber dem Jahresanfang steigen – nur geringfügig weniger als ursprünglich befürchtet. "Der Basiszoll von 10 Prozent wird für alle Länder beibehalten," erklärte Hollenhorst und bezeichnete dies als "in vielen Fällen eine erhebliche Erhöhung."
Fed in schwieriger Lage zwischen Inflation und Wachstumssorgen
Die US-Notenbank Federal Reserve steht vor einem komplexen Dilemma. Aus den am Mittwoch veröffentlichten Protokollen der März-Sitzung geht hervor, dass die Währungshüter zurückhaltend bei weiteren Zinssenkungen bleiben. Sie befürchten, dass die Zollpolitik gleichzeitig die Inflation anheizen und das Wirtschaftswachstum beeinträchtigen könnte – eine herausfordernde Kombination für die Geldpolitik.
"Die Risiken für die Inflationsprognose wurden weiterhin nach oben verzerrt gesehen, da die Kerninflation im vergangenen Jahr nicht so stark zurückgegangen ist wie erwartet und weil Änderungen der Handelspolitik mehr Aufwärtsdruck auf die Inflation ausüben könnten als vom Stab angenommen", heißt es in den Protokollen.
Die Fed hatte im März ihre Zinsspanne bei 5,25 bis 5,5 Prozent belassen und hält an ihrer Prognose von zwei Zinssenkungen im laufenden Jahr fest. Allerdings äußerte Atlanta-Fed-Präsident Raphael Bostic vergangene Woche, dass er nur noch mit einer Zinssenkung in diesem Jahr rechne und revidierte damit seine frühere Prognose von zwei Senkungen.
Die Notenbanker sind sich bewusst, dass sie in diesem komplexen Umfeld nicht überstürzt handeln sollten. So erklärten Mitglieder des Offenmarktausschusses, es sei "angesichts der hohen Unsicherheit über die Nettoauswirkungen einer Reihe von Regierungsmaßnahmen auf den wirtschaftlichen Ausblick angemessen, einen vorsichtigen Ansatz zu verfolgen."
QT-Verlangsamung: Fed reduziert Bilanzabbau
Neben der Zinspolitik hat die Fed auch ihren Bilanzabbau, das sogenannte Quantitative Tightening (QT), deutlich verlangsamt. Bei der März-Sitzung wurde beschlossen, die monatliche Obergrenze für den Abbau von US-Staatsanleihen von bisher 25 Milliarden Dollar auf nur noch 5 Milliarden Dollar ab April zu senken, während die Obergrenze für Hypothekenanleihen bei 35 Milliarden Dollar beibehalten wurde.
Diese Entscheidung fand breite Unterstützung im Offenmarktausschuss, obwohl es mehr interne Opposition gab als zunächst bekannt wurde. Fed-Gouverneur Christopher Waller, der bereits durch seine skeptische Haltung gegenüber dem Einsatz der Wertpapierbestände als geldpolitisches Instrument aufgefallen war, stimmte gegen die Verlangsamung und plädierte für ein unverändertes Tempo beim Bilanzabbau.
Auch die nicht stimmberechtigte Cleveland-Fed-Präsidentin Beth Hammack hatte im Vorfeld der Sitzung Interesse an einer Fortsetzung des QT-Programms geäußert und darauf verwiesen, dass die Liquiditätsinstrumente der Fed mit etwaigen Marktschwankungen im Zusammenhang mit der Schuldenobergrenze umgehen könnten.
Deutschland: Merz setzt auf europäische Einigkeit
In Europa wird die Situation aufmerksam beobachtet. Friedrich Merz, designierter Kanzler Deutschlands, interpretierte Trumps Zollpause als Erfolg der europäischen Geschlossenheit. "Die Europäer sind entschlossen, uns zu verteidigen, und dieses Beispiel zeigt, dass Einigkeit vor allem hilft", erklärte er in einem Interview mit RTL Direkt nach Abschluss des Koalitionsvertrags zwischen seiner konservativen Union und den Sozialdemokraten.
Merz schlug eine klare Lösung vor: "Lassen Sie uns alle Zölle im transatlantischen Handel auf 0% setzen, dann ist das Problem gelöst." Diese Botschaft richtete er direkt an das Weiße Haus, als er auf Englisch verkündete: "Die Kernbotschaft an Donald Trump ist, Deutschland ist wieder auf Kurs." Er versprach, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu stärken.
Der Koalitionsvertrag der neuen deutschen Regierung betont die Bedeutung der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, dem größten Handelspartner Deutschlands, und strebt mittelfristig ein Freihandelsabkommen an. Gleichzeitig unterstrich Merz die Notwendigkeit einer gemeinsamen europäischen Antwort auf den eskalierenden globalen Zollkrieg.
Wirtschaftliche Auswirkungen und Unsicherheiten
Die Unsicherheit über die langfristigen Auswirkungen der Handelspolitik bleibt hoch. Ökonomen der Citigroup weisen darauf hin, dass selbst während der 90-tägigen Pause der Druck auf die Wirtschaft bestehen bleibt. China ist von der Pause ausgenommen und sieht sich nun mit Zöllen von 125 Prozent konfrontiert, zusätzlich zu den bereits angekündigten 20 Prozent Abgaben wegen Grenz- und Fentanyl-Bedenken sowie dem bestehenden effektiven Satz von 10 Prozent.
US-Finanzminister Scott Bessent erklärte kurz nach der Ankündigung: "Es war alles die Entscheidung des Präsidenten… Er hatte ein Niveau im Sinn, um die China-Zölle anzuheben, und er hatte im Wesentlichen die dreimonatige Pause im Sinn… Niemand schafft Hebelwirkung für sich selbst wie Präsident Trump." Bessent betonte, dass Chinas Vergeltungsmaßnahmen für das Land selbst problematischer sein werden als für die USA, da Chinas Wirtschaft stark vom Export abhängig sei.
Die Fed-Mitglieder Alberto Musalem und Neel Kashkari haben beide die Handelspolitik als "riskant" bezeichnet und gewarnt, dass preissteigernde Effekte der Zölle möglicherweise nicht als einmalige Ereignisse abgetan werden können, die Zentralbanker getrost ignorieren könnten. Sie befürchten, dass die erwarteten Preiserhöhungen durch die angekündigten Zölle und die Vergeltungsmaßnahmen anderer Nationen möglicherweise zu einer anhaltenden Inflation führen könnten.
Alltägliche Auswirkungen für US-Verbraucher
Während die großen wirtschaftspolitischen Entscheidungen die Schlagzeilen dominieren, spüren US-Verbraucher die Inflation auch im Alltag. Die US-Post (USPS) hat am Mittwoch eine Erhöhung des Preises für Briefmarken der ersten Klasse von 73 auf 78 Cent beantragt. Wenn die Postregulierungskommission zustimmt, würden die neuen Preise ab dem 13. Juli in Kraft treten und zu einer Gesamterhöhung der Postdienstleistungspreise um 7,4 Prozent führen.
Diese Preiserhöhung kommt, nachdem die USPS im Januar 2023 erstmals seit Januar 2022 keine Erhöhung vorgenommen hatte, was eine Abkehr von der Reihe an Preiserhöhungen der letzten Jahre darstellt.
Unsicherer Ausblick
Die kommenden 90 Tage werden entscheidend sein, um zu sehen, ob die Verhandlungen zu dauerhaften Lösungen führen. Fed-Vertreter bleiben vorsichtig und verweisen auf die "schwierigen Kompromisse", die sie möglicherweise eingehen müssen, wenn die Inflation anhaltend bleibt, während das Wachstum nachlässt.
Für die Märkte bleibt die Unsicherheit bestehen. Wie Richmond-Fed-Präsident Thomas Barkin es ausdrückte: "Wenn man in wirklich dichtem Nebel fährt, gibt es zwei Dinge, die man nicht tun möchte. Eines ist, auf das Gas zu treten, weil man nicht weiß,, wer vor einem ist. Und eines ist, auf die Bremse zu treten, weil man nicht weiß, wer hinter einem ist."