Die globalen Finanzmärkte befinden sich im Ausnahmezustand. US-Präsident Donald Trumps überraschende Einführung umfassender Zölle hat weltweit Schockwellen ausgelöst und die Rezessionsängste dramatisch verstärkt. Besonders deutlich wird dies an den zunehmenden Prognosen führender Investmentbanken – Goldman Sachs erhöhte innerhalb einer Woche zweimal die Wahrscheinlichkeit einer US-Rezession auf nunmehr 45%, während JPMorgan diese sogar auf 60% beziffert.
Globale Märkte im Turbomodus
Die neue Zollpolitik hat die US-Zollsätze auf durchschnittlich 22% angehoben – den höchsten Stand seit 1910. Besonders China ist mit zusätzlichen 34% Strafzöllen konfrontiert, wodurch die Gesamtbelastung auf chinesische Waren in diesem Jahr auf 54% steigt. Peking reagierte umgehend mit Vergeltungsmaßnahmen und bezeichnete die US-Zölle als „typischen Unilateralismus, Protektionismus und wirtschaftliches Mobbing“.
An den Märkten führte dies zu massiven Verwerfungen. Die globalen Aktienmärkte verzeichneten dramatische Einbrüche, wobei allein in der vergangenen Woche fast 6 Billionen Dollar an Wert aus US-Aktien ausgelöscht wurden. Der taiwanesische Leitindex stürzte am Montag um nahezu 10% ab. Gleichzeitig brachen die Ölpreise auf den niedrigsten Stand seit April 2021 ein, wobei sowohl Brent als auch WTI innerhalb einer Woche rund 10,5% an Wert verloren. Am Devisenmarkt flüchteten Investoren in sichere Häfen wie den japanischen Yen und den Schweizer Franken, während risikobehaftete Währungen wie der australische und neuseeländische Dollar abstürzten.
Notenbanken vor schwierigem Balanceakt
Die Zentralbanken weltweit stehen vor einem schwierigen Dilemma: Sollen sie die wirtschaftliche Aktivität durch Zinssenkungen stützen oder die Währungsstabilität priorisieren? Die US-Notenbank Fed steht besonders im Fokus, wobei Anleger mittlerweile mit Zinssenkungen von insgesamt 116 Basispunkten in diesem Jahr rechnen – deutlich mehr als vor dem Zollschock. Fed-Chef Jerome Powell äußerte sich am Freitag jedoch vorsichtig und betonte, es sei noch zu früh, um die angemessene Reaktion zu bestimmen.
Während JPMorgan nun mit Zinssenkungen bei jedem der fünf verbleibenden Fed-Sitzungen in diesem Jahr rechnet, geht Goldman Sachs von drei Zinssenkungen aus, wobei die erste bereits im Juni statt im Juli erfolgen könnte. Die Wells Fargo Investment Institute hat ihre Prognose von einer auf drei Zinssenkungen erhöht.
In Europa ist die Lage nicht minder angespannt. Das Sentix-Barometer für die Anlegerstimmung in der Eurozone brach im April auf -19,5 Punkte ein – den niedrigsten Stand seit Oktober 2023. Besonders stark betroffen waren die Erwartungen für die kommenden sechs Monate, die um 33,8 Punkte auf -15,8 fielen – der zweitstärkste Rückgang in der Geschichte des Sentix-Index. Für Deutschland stürzten die Erwartungen sogar um 36,3 Punkte ab.
Die Europäische Zentralbank (EZB) dürfte laut Analysten von BCA Research ihren Einlagensatz unter 2% senken und möglicherweise sogar quantitative Lockerungsmaßnahmen wieder aufnehmen. Dies wird als exogener Schock betrachtet – ähnlich der COVID-19-Krise –, was eine koordinierte fiskalpolitische Reaktion wahrscheinlich macht.
Regionen unterschiedlich betroffen
Die Auswirkungen des Handelskonflikts variieren regional erheblich. Für die Eurozone prognostiziert BCA Research eine milde Rezession bis Mitte 2025. Besonders die Automobilindustrie leidet unter den 25-prozentigen Zöllen. Modellrechnungen des Peterson Institute for International Economics deuten auf Wachstumseinbußen von 0,25 Prozentpunkten in Deutschland, 0,12 in Frankreich und 0,15 in Italien hin.
China hingegen, das sich mit den höchsten Zöllen konfrontiert sieht, könnte laut Capital Economics mit einem wirtschaftlichen Schaden von 0,5-1% des BIP davonkommen. Seine Exporteure werden voraussichtlich einen Teil ihrer Lieferungen nach Europa umleiten, was dort zu deflationärem Druck führen könnte – ähnlich wie während des Handelskriegs 2018-2019.
Australien und Neuseeland scheinen vergleichsweise gut positioniert zu sein. Ihre kleinen Fertigungssektoren und geringe Exportabhängigkeit von den USA bieten einen gewissen Schutz. Beide Länder unterliegen nur dem Standardzoll von 10%, und ihre Währungen haben bereits als „Stoßdämpfer“ fungiert. Dennoch könnten sie indirekt betroffen sein, wenn ihre asiatischen Handelspartner – insbesondere China – unter den US-Zöllen leiden.
Politische Reaktionen weltweit
Die EU bereitet eine geschlossene Antwort auf die US-Zölle vor und plant gezielte Gegenmaßnahmen für US-Importe im Wert von bis zu 28 Milliarden Dollar. Gleichzeitig verstärkt sie ihre Bemühungen um Handelsbeziehungen mit Kanada, Lateinamerika und Großbritannien sowie die Vertiefung der Beziehungen zu Schweiz und Norwegen.
Innerhalb der EU gewinnt die Vollendung des Binnenmarktes an Dringlichkeit. Nach Schätzungen des IWF entsprechen die internen nichttarifären Handelshemmnisse einem Zoll von 44% auf Waren und 110% auf Dienstleistungen. Durch deren Abbau will die EU Skaleneffekte verbessern, Investitionen fördern und die Produktivität steigern.
Die Taiwanesische Zentralbank hat bereits angekündigt, bei Bedarf am Devisenmarkt zu intervenieren, um die Stabilität des Taiwan-Dollars zu gewährleisten. Sie verfüge über „ausreichende Fähigkeiten“, um mit Marktschwankungen umzugehen.
Investitionsstrategien in turbulenten Zeiten
Angesichts der aktuellen Marktvolatilität empfehlen Analysten von BCA Research kurzfristig einen vorsichtigen Ansatz. Defensive Sektoren und Anleihen werden gegenüber Aktien und zyklischen Werten bevorzugt. Mit nachlassendem Wachstum und sinkenden Unternehmensgewinnen werden weitere Gewinnrevisionen und Aktienrückgänge erwartet – ähnlich dem 14%-igen Einbruch während des Handelskriegs 2018.
Langfristig bleibt BCA jedoch optimistisch. Europäische Aktien preisen derzeit übermäßige Risiken ein. Mit zunehmender fiskalischer Unterstützung und vertiefter Integration sollte eine Erholung der Produktivität und der Unternehmensgewinne folgen. Banken und Telekommunikationsunternehmen, die als Hauptnutznießer der Integration gelten, dürften den nächsten Aufschwung anführen.
Bei festverzinslichen Wertpapieren bleiben europäische Anleihen attraktiv, besonders spanische und französische Staatsanleihen. Auch der Euro, der derzeit mit einem Abschlag von 18% zum fairen Wert gehandelt wird, könnte profitieren, wenn globales Kapital beginnt, sich von US-Vermögenswerten zu entfernen.
Die kommenden Monate werden zeigen, ob die koordinierten geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen ausreichen werden, um eine tiefere globale Rezession abzuwenden – oder ob Trumps „medizinische Behandlung“, wie er die Zölle nannte, die Weltwirtschaft in eine längere Krise stürzt.